Neben Frankreich ist Polen unser zweitgrößter Nachbar und Partner in Europa. Das Land ist einer der größten Unterstützer der Ukraine, stritt aber zugleich auch lange mit der EU-Kommission über eine Justizreform und den gegenwärtigen Stand des polnischen Rechtsstaates. Unsere östlichen Nachbarn haben vor einiger Zeit gewählt und zwar wurden am 15. Oktober turnusgemäß (alle vier Jahre) der Sejm (Unterhaus) und der Senat (Oberhaus) komplett neu gewählt.
Der Sejm hat tatsächlich eine lange Geschichte. Schon vor mehreren Jahrhunderten gab es eine Ständeversammlung mit diesem Namen in Polen. In seiner jetzigen Form besteht er seit dem Zerfall des Ostblocks als eine von zwei Kammern des Parlaments. Er besteht aus 460 Abgeordneten, die nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Eine absolute Mehrheit besteht folglich aus mindestens 231 Abgeordneten. Wie in Deutschland gibt es für Parteien eine 5%-Hürde und zusätzlich für Wahlbündnisse eine 8%-Hürde. Der Senat als zweite Kammer hat 100 Mitglieder, die per Direktwahl gewählt werden, genau eine Person pro Wahlkreis.
Parallel zu den Parlamentswahlen sollten die Bürger auch bei gleich vier Referenden ihre Stimme abgeben, die allerdings von der Regierung mit einer ganz bestimmten Ausrichtung formuliert wurden.
Polen wurde seit 2015 von der PiS (Prawo i Sprawiedliwość) regiert, der Partei für Recht und Gerechtigkeit. Diese hatte bis zur Wahl mit ihrem Wahlbündnis Vereinigte Rechte eine absolute Mehrheit im Sejm, jedoch nicht im Senat. Dort hatte die Opposition dank vier unabhängiger Senatoren eine Mehrheit. Ministerpräsident war Mateusz Morawiecki. Mindestens ebenso wichtig war Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der PiS, der auch selbst schon Ministerpräsident war. Als Parteivorsitzender gab er, obwohl nicht Regierungschef, in der polnischen Politik oft den Ton an. Seine politischen Ansichten prägten Partei und Regierung. Er und die PiS sind politisch konservativ und rechts, wobei sich in Polen viele Parteien selbst als eher rechts einordnen, auch Oppositionsparteien. Die PiS steht außerdem der katholischen Kirche nahe und ist in diesem Sinne unter anderem für ein sehr strenges Abtreibungsrecht. Je ländlicher die Gegend ist, desto eher wird dort die PiS gewählt. Ihre politische Konkurrenz wird hingegen eher in Städten gewählt und gilt als liberal. Die PiS nutzte ihre Möglichkeiten in der Regierung unter anderem für Wahlkampfgeschenke in Form von Erhöhungen von Sozialleistungen. Aber auch Einfluss in den Medien wurde geltend gemacht.
Größte Konkurrenz für die PiS und die SP (Solidarna Polska), mit der sie ein Wahlbündnis hatte, war die Bürgerplattform (PO: Platforma Obywatelska) mit dem von ihr angeführten Bündnis Bürgerkoalition (KO: Koalicja Obywatelska). Dieses Wahlbündnis führte die Opposition an und rückte in Umfragen recht nah an die PiS heran, auch wenn diese immer einen gewissen Vorsprung hatte, dessen Größe je nach Umfrage variierte. Vorsitzender der Bürgerplattform ist Donald Tusk. Tusks Partei steht inhaltlich der CDU nahe. Sie ist ebenso wie die CDU auf europäischer Ebene Teil der Europäischen Volkspartei, deren Vorsitzender Tusk auch schon war.
Tusk war früher schon einmal Ministerpräsident von Polen und zwar von 2007 bis 2014. Tatsächlich hat die aktuelle Regierung oft über diese Zeit geschimpft und schiebt viele der derzeitigen Probleme auf die damalige Regierung. Von 2014 bis 2019 war Tusk dann Ratsvorsitzender in der EU. In diesem Amt war er für die Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder verantwortlich. Auch das machte ihn zur Zielscheibe für die Regierung, für die die EU oft ein Feindbild war. Die PiS warf Donald Tusk außerdem vor, von Deutschland gesteuert zu werden, Belege dafür gibt es keine. Sie führte auch einen stark anti-deutschen Wahlkampf.
Die Ergebnisse nach der Wahl waren letztlich die folgenden:
Sejm:
PiS 35,4% (194 Sitze)
KO 30,7% (157 Sitze)
Dritter Weg 14,4% (65 Sitze)
Lewica 8,6% (26 Sitze)
Konfederacja 7,2% (18 Sitze)
Sonstige 3,7%
Senat:
PiS 34 Sitze
KO 41 Sitze
Dritter Weg 11 Sitze
Lewica 9 Sitze
Unabhängige 5 Sitze
Die Wahlbeteiligung war sehr hoch und es gab eine Verschiebung bei den Machtverhältnissen. Die von Tusk angeführte Bürgerkoalition kam nun mit dem Dritten Weg und der Linken (Lewica) im Sejm auf eine Mehrheit. Alle drei hatten bereits vor der Wahl angekündigt, zusammenarbeiten zu wollen. Im Senat, wo die Opposition sich bereits bei der Wahl 2019 auf jeweils einen gemeinsamen Kandidaten pro Wahlkreis geeinigt hatte, konnten sie ihre damals errungene Mehrheit sogar ausbauen.
Die PiS hatte selbst mit der ultrarechten Partei Konföderation als Partner keine Mehrheit und niemand anders wollte nach diesem Wahlkampf mit ihr koalieren, mögliche Partner hat sie dabei zu sehr verprellt. Die Koalition unter Tusk stand, obwohl es einzelne Abwerbeversuche der PiS gegenüber dem Dritten Weg gab. Die Mehrheit im Sejm liegt bei 231 Sitzen, die vormaligen Oppositionsparteien, die nun regieren wollten, kommen auf 248 und damit auf eine deutliche Mehrheit, mit der sie regieren können.
Am 13. November ist der Sejm erstmals zusammengetreten. Die Koalition der bisherigen Oppositionsparteien hatte da schon einen Koalitionsvertrag. Da sie bereits vor der Wahl eine Zusammenarbeit angestrebt hatten, hatten sie auch diesen schnell vorbereitet und erarbeitet. Sie konnten jedoch nicht sofort mit der Arbeit beginnen. Präsident Duda hatte nämlich zunächst wieder Morawiecki von der PiS den Regierungsauftrag erteilt mit dem Verweis darauf, dass es Tradition sei, der größten Fraktion den Auftrag zu erteilen. Da jedoch klar war, dass die PiS es nicht schaffen würde, eine Mehrheit im Parlament zusammen zu bekommen, war dies ein recht offensichtliches Zeitspiel von Duda, der der PiS nahesteht und es ihrer Unterstützung verdankt, Präsident zu sein. Die erkaufte Zeit wurde von der PiS durchaus genutzt, angeblich auch zum Schreddern von Unterlagen.
Am 11. Dezember hat Morawiecki im Sejm dann die notwendige Vertrauensfrage gestellt und wie erwartet verloren. Im Anschluss konnte das Parlament Kandidaten für das Amt des Premierministers vorschlagen und Tusk wurde mit allen Stimmen seiner Koalition gewählt. Vorschläge für sein Kabinett unterbreitete er bereits am Folgetag und vereidigt wurden er und das Kabinett dann am Mittwoch, den 13. Dezember.
Das neue Kabinett dürfte einen deutlich europafreundlicheren Kurs fahren, die Beziehungen zu Deutschland verbessern und plant innenpolitisch, vieles der Vorgängerregierung rückgängig zu machen, insbesondere die staatlichen Medien und die Justiz sollen wieder unabhängiger sein. Letzteres auch mit dem Ziel, dass bisher zurückgehaltene Gelder der EU nach Polen fließen können. Mit Präsident Duda kam es bei den bisherigen Maßnahmen schon zu Streit, doch bisher geht die neue Regierung die selbst gesteckten Ziele selbstbewusst an.
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