Amerika hat gewählt. Am 8.November fanden in den Vereinigten Staaten die Zwischenwahlen, dort auch Midterms genannt, statt. Auf diese möchte ich hier zurückblicken. Zuerst erkläre ich kurz den Aufbau des US-Kongresses und worüber abgestimmt wurde, danach folgt ein Blick auf die Ergebnisse und die daraus resultierenden Folgen für die US-Politik.
Die Midterms finden immer genau zur Hälfte einer Präsidentschaft statt und damit alle vier Jahre Anfang November, zwei Jahre nach einer Präsidentschaftswahl und zwei Jahre vor der nächsten. Die Politik der USA wird auf Bundesebene wie in den Bundesstaaten grundsätzlich von zwei Parteien geprägt, was insbesondere am Wahlsystem liegt. Diese Parteien sind die Demokraten und die Republikaner. Es ist von wenigen Ausnahmen abgesehen üblich, dass die Partei des Präsidenten bei den Midterms abgestraft wird und Sitze verliert. Auch unter Trump war dies vor vier Jahren der Fall. Oft geht damit auch einher, dass mindestens eine der beiden Kammern des Kongresses an die konkurrierende Partei fällt. Das macht es dem Präsidenten deutlich schwerer, Gesetze durch den Kongress zu bekommen und zu regieren. Üblicherweise müssen die Parteien dann mehr Kompromisse miteinander eingehen. Die politische Spaltung der letzten Jahre hat jedoch dazu geführt, dass die Politik des Präsidenten von einem „gegnerischen“ Kongress oft einfach blockiert wird und es so zu einem politischen Stillstand kommt. Sie führt mitunter auch dazu, dass Abgeordnete einer der Parteien auch gegen Gesetze der anderen stimmen, wenn es auch für sie nachvollziehbar sinnvoll sein könnte, dafür zu stimmen. Bei diesem beiderseitigen Wir-gegen-Die gehen die Interessen der Bürger dann meistens unter.
Zunächst ein kleiner Exkurs zum Kongress, seiner Zusammensetzung und dem, was genau gewählt wird. Die USA bestehen aus 50 Bundesstaaten (ähnlich unseren Bundesländern. Deutschland ist wie die USA ein föderaler Staat, wo diese Staaten vergleichsweise viel entscheiden können, anders als in zentralistischer regierten Ländern wie Großbritannien). Der US-Kongress besteht aus zwei Kammern: Dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Die Mitglieder beider Kammern werden regelmäßig gewählt. Das Repräsentantenhaus besteht aus 435 Abgeordneten, die proportional nach der Bevölkerung der Bundesstaaten in diesen gewählt werden und das alle zwei Jahre, parallel zu den Präsidentschaftswahlen und dann zu den Midterms. Kalifornien stellt am meisten Abgeordnete, weil es der Staat mit den meisten Einwohnern ist. Andere wie Vermont oder Wyoming stellen hingegen nur einen einzelnen Abgeordneten. Der Senat besteht im Gegenzug zum Repräsentantenhaus aus 100 Abgeordneten, jeder Staat hat genau zwei, vollkommen unabhängig von seiner Größe. Dies wurde damals dazu erdacht, dass die größeren Staaten die kleinen nicht dominieren und alle gleich starke Stimmen haben. Auch beim Senat wird alle zwei Jahre gewählt. Anders als beim Repräsentantenhaus werden allerdings nicht immer alle Sitze neu vergeben, sondern nur ein gutes Drittel. Dadurch wird der einzelne Sitz alle sechs Jahre neu vergeben.
Im Kongress wurden daher alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses vergeben und in diesem Jahr 35 Senatssitze. Vor der Wahl hatten die Demokraten im Repräsentantenhaus 220 Sitze (218 sind für eine Mehrheit nötig) gegenüber 212 von den Republikanern (zum Ende hin waren drei Sitze vakant, also offen/unbesetzt). Im Senat gab es ein Patt von 50 zu 50. Da bei einem Unentschieden der Vorsitzende des Senats, das ist qua Amt der Vizepräsident oder eben die Vizepräsidentin, entscheidet, hatten die Demokraten durch Kamala Harris hier faktisch eine hauchdünne Mehrheit.
Gleichzeitig fanden auch innerhalb der Bundesstaaten Wahlen statt. So wurden unter anderem in ganzen 36 der 50 Staaten die Gouverneure gewählt. Diese fungieren in den Staaten als Regierungschefs und werden wie auch der Präsident auf Bundesebene direkt von den Bürgern gewählt. Neben den Gouverneuren wurden auch die Innenminister (Secretary of State) in diesen Staaten gewählt. Dies ist insofern sehr wichtig, als dass diese in den Staaten die Wahlen überwachen, was für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2024 von Bedeutung ist. Insbesondere auch deswegen, weil die Staaten ihre eigenen Wahlgesetze haben und schreiben und beide Parteien sogenanntes „gerrymandering“ betreiben. Das ist eine bewusste Änderung der Grenzen von Wahlkreise zugunsten von einem selbst. Die Parteien verschieben dabei die Grenzen so, dass sie davon profitieren und bei Wahlen besser abschneiden. So ist es auch möglich, Wahlkreise in einer Region zu gewinnen, in der man eigentlich keine Mehrheit hat. Besonders die Republikaner sind sehr gut darin, praktiziert wird es aber auch von den Demokraten. Da die USA wie schon erwähnt ein föderaler Staat sind und die einzelnen Bundesstaaten viel entscheiden können, ist die Bedeutung dieser Wahlen auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten nicht zu unterschätzen.
Wie auch bei uns in Europa ist die Inflation in den USA eines der wichtigsten Wahlkampfthemen gewesen. Bidens Beliebtheitswerte haben stark darunter gelitten. Daneben ist im Sommer durch die Aufhebung des früheren Grundsatzurteils „Roe vs. Wade“ durch den Obersten Gerichtshof, den Supreme Court, auch das Thema Abtreibungen wichtiger geworden und hat dafür gesorgt, dass es in Umfragen zwischenzeitlich für die Demokraten besser aussah. Zwei weitere Themen waren wie schon häufig zuvor auch die Migration und auch was immer stärker thematisiert wird: Das Wahlrecht. Dabei geht es um Briefwähler, Wählerverzeichnisse und vieles mehr. Es wurden vor der Wahl dazu schon mehr Klagen eingereicht als im Jahr 2020 insgesamt. Ein weiteres Zeichen der politischen Polarisierung.
Da wie anfangs gesagt, die den Präsidenten stellende Partei üblicherweise Sitze verliert und die Inflation als das Thema galt, wurde mit einem deutlichen Sieg der Republikaner gerechnet. Es war gar die Rede von einer „roten Welle“. Rot ist die Farbe der Republikaner, Blau die der Demokraten. Von einem leichten Aufschwung im Sommer nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes abgesehen, sah es für die Demokraten auch in Umfragen nicht gut aus. Doch die erwartete Welle blieb aus:
Wie schon bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren haben sich in einigen Staaten die Auszählungen in die Länge gezogen. Im Rennen um den Senat war der Stand zunächst der, dass die Demokraten 48 und die Republikaner 49 Sitze haben. Gezählt wurde noch in Georgia, Arizona und Nevada. Die Demokraten brauchten 50 Sitze, um mit der Stimme von Kamala Harris ihre Mehrheit zu halten. Sie brauchten also zwei dieser drei Sitze. Zum letzten Wochenende hin gab es dann in Arizona und in Nevada die Meldung, dass die Demokraten die Sitze dort gewinnen konnten und damit ihre Mehrheit halten konnten. Dabei war Arizona mal ein Staat der Republikaner und ist mittlerweile ein sogenannter Swing State, wo wechselnd abgestimmt wird. In Georgia kommt es am 6. Dezember aufgrund der dortigen Wahlgesetze und keinem Kandidaten über 50% zu einer Stichwahl. Diese ist aber nicht mehr entscheidend. Die Demokraten könnten höchstens ihre Mehrheit ausbauen.
Auch beim Repräsentantenhaus wurde und wird länger gezählt. Da die rote Welle ausblieb, dauerte es hier sogar noch länger, um festzustellen, wer eine Mehrheit hat. Sie ist zwar gering, insbesondere wenn man sie mit den Mehrheitswechseln vorheriger Midterms vergleicht, aber die Republikaner sind vor ein paar Tagen offiziell auf die für die Mehrheit nötigen 218 Sitze gekommen (Stand jetzt 219). Aktuell stehen die Demokraten bei 212. Die republikanische Mehrheit kann also noch größer werden. Aber letztlich wird sie eher klein sein. Das kann für die Republikaner noch problematisch werden, da sie politisch auch intern gespalten sind.
Und das liegt an einem Mann, der in der Partei eigentlich gar kein Amt innehat: Donald Trump.
Trump ist an der republikanischen Parteibasis noch immer sehr beliebt und hat die Kandidatur verschiedener republikanischer Kandidaten für den Kongress oder in den Staaten gefördert und unterstützt. Von diesen sind einige erfolgreich in den Kongress eingezogen und verbreiten dort Trumps These der gestohlenen Wahl. Der Fraktionsführer der Mehrheitsfraktion wird üblicherweise auch Sprecher des Repräsentantenhauses. Bei einer so dünnen und unsicheren Mehrheit, wird das bei den Republikanern allerdings eine Herausforderung. Kevin McCarthy wurde zwar als Fraktionschef bestätigt, dabei haben allerdings auch einige für seinen Herausforderer gestimmt. Es dürfte schwer für ihn werden, seine Fraktion zu kontrollieren.
Und wie gingen die Wahlen in den Bundesstaaten aus? In einigen Staaten haben die Demokraten es tatsächlich geschafft, das Gouverneursamt von den Republikanern zu erobern. Oft wurde jedoch einfach den Erwartungen entsprechend der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin bestätigt. Hierfür lohnt sich auch ein kurzer Blick nach Kalifornien und Florida.
In Kalifornien wurde nämlich wie in vier weiteren Staaten auch über Referenden zur Abtreibung abgestimmt. Neben Kalifornien und drei anderen Staaten wurde auch in Kentucky abgestimmt, einem stark konservativen Staat, aus dem auch der republikanische Fraktionschef im Senat kommt, Mitch McConnell. Es wurde tatsächlich in allen Staaten im Sinne des Rechts auf Abtreibung abgestimmt, selbst in Kentucky. Denn oft gehen die von Republikanern geforderten Verschärfungen auch moderaten Wählern der Republikaner zu weit. In diesen Staaten wurde auch der Wahlkampf mit Fokus auf Abtrebungen geführt und es zeigt sich im Nachhinein, dass dieses Thema wahlentscheidend sein konnte und die Demokraten stark davon profitiert haben. Das war vorher nicht so erwartet worden.
Florida hingegen ist wegen einer Person interessant und das ist der Gouverneur Ron DeSantis. DeSantis wurde bei dieser Wahl im Amt bestätigt, ins Amt verholfen hatte ihm vor einigen Jahren Trump. Seine Wiederwahl war erwartet worden, er hat mit relativ deutlichem Abstand gewonnen. Da Trump seinen Wohnsitz aktuell in Florida hatte, musste er theoretisch für ihn stimmen, da er der republikanische Kandidat war. DeSantis ist mittlerweile aber zum wohl größten Rivalen für Trump in der Partei geworden und spielt mit dem Gedanken, 2024 für die Präsidentschaft zu kandidieren, weshalb Trump nicht gut auf DeSantis zu sprechen ist. Von den von Trump geförderten Kandidaten sind zwar einige in den Kongress gekommen, aber viele sind auch gescheitert. Trump gilt daher als mit der größte Verlierer der Midterms, DeSantis hingegen als einer der Gewinner.
Tatsächlich gibt es aktuell einige kritische Stimmen, die Trump die Schuld für das schlechte Abschneiden zuschieben. Wo die Republikaner sonst Kandidaten gezielt nach Eignung ausgewählt und beispielsweise in moderaten Staaten keine stark konservativen Kandidaten ins Rennen geschickt haben, hat sich dieses Mal Trump oft eingemischt. Seine Kandidaten waren jedoch mehr nach seinen Vorlieben denn nach Eignung ausgewählt und wurden tatsächlich recht oft nicht gewählt. Insofern sind die Republikaner letztlich auch an sich selbst gescheitert und nicht geeint aufgetreten, so dass sie zum Verpuffen der roten Welle selbst beigetragen haben.
Was für Folgen haben die Midterms für die US-Politik? Der Kongress ist nun geteilt. Die Demokraten halten den Senat, die Republikaner das Repräsentantenhaus. Keine der Parteien hat alleinigen Gestaltungsspielraum, kann aber die Politik der anderen Partei blockieren und stören. Wie schon seine Vorgänger wird Biden als Präsident wohl auf gewisse Exekutivrechte zurückgreifen, die er nutzen kann. Trotzdem wird es wohl deutlich langsamer und weniger werden, was die USA politisch in Angriff nehmen. Der neue Kongress kommt im Januar zusammen, bis dahin werden die Demokraten wohl versuchen, noch möglichst viel anzugehen.
Daneben sind die Augen schon auf die Präsidentschaftswahlen 2024 gerichtet. Nachdem er am Tag der Midterms bereits für die Folgewoche eine große Ankündigung angedeutet hatte, hat Trump wie erwartet am Dienstag angekündigt, 2024 erneut zu kandidieren. Anders als in den letzten Jahren gibt es aber mittlerweile Kritiker und Leute bei den Republikanern, die lieber jemand anderen als Kandidaten hätten, insbesondere nach dem eher schlechten Abschneiden bei den Midterms. Erwartet wird, dass auch DeSantis sich um die Kandidatur der republikanischen Partei bewirbt. Anders als Trump hat er keine Probleme mit der Justiz, hat Rückenwind durch das gute Wahlergebnis und auch in Umfragen sieht es für ihn sehr gut aus. Durch die Ankündigung von Trump wird es auch wahrscheinlicher, dass Biden trotz seines Alters noch einmal kandidieren wird. Bisher hatte er sich noch nicht festgelegt. Er verweist jedoch darauf, dass er bisher der einzige war, der Trump geschlagen hat und Trump schlagen kann. Das wiederum begrüßen bei den Demokraten nicht alle.
Die Bürger haben letztlich einen Kongress gewählt, der weder einem roten noch einem blauen Extrem zuneigt. Sie wollen auch nicht Trumps Kandidaten, die These der gestohlenen Wahl hat dieses Mal nicht gezogen. Die erwartete rote Welle blieb aus und Biden kann die Wahl in gewisser Weise sogar als Sieg verkaufen. Tatsächlich ist er deutlich besser davon gekommen als seine Vorgänger bei den Midterms. Wer letztlich die Präsidentschaftskandidaten werden, wird innerparteilich in Vorwahlen entschieden. Dabei ist vieles möglich, Trumps Position hat deutliche Risse bekommen, aber er kann immer noch Massen mobilisieren. Trump und Biden sind jedoch das Gegenteil eines Generationswechsels, der nötig wäre. Mit seiner Ankündigung hat Trump den Stein allerdings ins Rollen gebracht und die USA werden sich zeitnah in den Wahlkampfmodus begeben. Der Wettkampf beginnt dort immer sehr früh und der Startschuss ist gefallen.
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